Ruhrpöttlerisch – nicht eingängig, aber ein Kunstwerk!

Fragwürdigerweise beginne ich mit Johann Wolfgang von Goethe.

Was immer man auch von ihm liest, lässt eine tiefe Liebe zur deutschen Sprache erkennen. Die Eleganz, mit der er erzählte, verlieh seinen Stücken den Nimbus einer Leistungsshow dessen, was man aus dieser Sprache machen kann. Sie ist höchst detailreich und verfügt selbst in kleinsten Nuancen noch über eigene Begriffe, die ein Ding ganz exakt bezeichnen und ganz gegen jedes Erwarten sogar eine faszinierende Sprachmelodie ausbilden kann.

Es sei denn, man widmet sich den unterschiedlichen Dialekten.

Mitmenschen, die des Deutschen nicht sonderlich mächtig sind oder nur von ihrer Schulzeit her kennen, werden durch saftig-markige Sprachanwendung Deutscher regelmäßig ratlos zurückgelassen. Nicht oft nutzen Sprachen vollständig andere Lautmuster in ihren Dialekten und zumeist gehen sie sparsam mit Zusammenziehungen um. Der Ruhrpott als kulturelles Auge im Zyklon, das seit Generationen Menschen aus unterschiedlichsten Ländern in großer Zahl integriert hat, verlangt dem Ausländer einiges an sprachlicher Arbeit ab.

Schauen wir uns die Wendung, Deklinierung und Konjugation des Wortes „habe“ genauer an: sie lautet „hap„. Hier droht phonetische Gefahr, denn „hap“ kann in Verbindung mit „ich“ auf die Frage nach einem Besitzstand (also „happich„) sehr schnell mit „happig“ verwechselt werden. Die Verneinung, „happichnich“ ist einfacher zu identifizieren. Genaues Hinhören und Achten auf den Kontext ist wichtig.

Haben, hat, hatte sind Stammworte mit häufiger Verwendung; die meisten bilden sich recht einfach: „er hat“ bleibt eigentlich „er hat„. Eigentlich. Denn korrekt ausgesprochen wird dies zu „hatta„, was im Grunde „Hat er“ bedeutet. Besonders zu beachten ist hier die Wendung „Hat er das?“, die zu „Hattadat?“ wird. Diese Form verändert seine Tempi in Aussprache und Betonung, wenn sie kombiniert wird. So wird die Frage „Was hat er?“ korrekt in „Wathatta?“ umgesetzt. Schwieriger noch werden Zustandsbeschreibungen, die mit „hat“ gebildet werden, was eine beliebte Form ruhrpöttlerischen Ausdrucks ist. So wird „Was hat das da geregnet!“ richtig „Wathattata gereechnet!“ gesprochen und aus „Hat er was?“ wird demzufolge und konsequent  „Hattawat?

Das femininum in diesem grammatikalisch relevanten Umfeld wird üblicherweise mit „-se“ gebildet. „Hatse.“ ist dann „Hat sie.“ Hier verhält sich das Ruhrpöttlerische beinah völlig konsequent, weshalb sich diese Form überall wiederfindet. „Isse.“ ist „Ist sie.“, „Kannse.“ ist „Kann sie.“

Weitere Wortergänzungen von hoher Tragweite müssen dazugelernt werden; diese Ergänzungen haben ihre Eigenständigkeit als eigenes Wort eingebüßt und bündeln daher oft die Aussage eines ganzen Satzes in einem einzigen Wort: „Kann er das?“ wird zu „Kannadat?“

In der konkreten Anrede verändert man das Hochdeutsche „Hast Du?“ zu „Hasse?“ und hier passen sich die weiteren Anwendungen wie vorgenannt an das Muster an. Die Sprachgeschwindigkeit macht das Verständnis zuweilen schwierig – eilig hervorgestoßen wird es für den Nichtruhrpöttler schwierig wenn er hört: „Wiedathassenich?“.  „Hassewat?“ ist natürlich als „Hast Du was?“ zu übersetzen. „Hasse“ ist eine beliebte Eingangsformel, besitzt oft einen rhetorischen Touch und beginnt häufig eine geschlossene Frage. Beispiel: „Hasse Töne?“ Hier verlangt es den Sprecher nicht zu wissen, ob das angesprochene Gegenüber ein Musikinstrument beherrscht oder sprechen kann – hier verleiht er einer gewissen Empörung Ausdruck, wobei das benutzte „Hasse“ in keinster Weise mit „Hass“ zusammensteht. „Hassema?“ drückt ein spezifisches Verlangen aus; bleibt das Verlangte unbezeichnet, wird vom Gegenüber die Kenntnis darum vorausgesetzt. So meldet sich ein Obdachloser als Bedarfsträger beim möglichen Spender mit freundlichem Gesicht, vorgehaltener Hand und einem „Hassemawat Kleingeld?“

Der Fortgeschrittene vermag nun schon in Gelsenkirchen einen Dialog zum Thema Schuhkauf genau zu verfolgen und er versteht auf Anhieb wenn gesagt wird:

„Hattadat Geld, kannsedat auch.“ 

Hier ist besonders darauf zu achten, dass „Hattadat“ und „kannsedat“ phonetisch als ein Wort daherkommen.

Vielleicht hört sich das nicht danach an, aber ich mag die Ruhrpöttler sehr. Sie sind ein warmherziger Menschenschlag, der seit Generationen wahrhaft Unmengen von Migranten in sich aufgenommen und problemlos in seine Reihen sortiert hat.

Über echsenwut

Ein Islamkonvertit; Ehemann, Familienvater, arbeitet im Marketing, unsterblich verliebt in Ägypten. Die Eule, mit deren Bild er gern kokettiert, steht für den Buchstaben "M" in den altägyptischen Hieroglyphen - und damit für das Initial seines Vornamens. Überaus leidenschaftlich in allem, was er tut; immer viel zu laut, zu präsent, engagiert. Man sagt: intelligent. Ich auch. :-)
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2 Antworten zu Ruhrpöttlerisch – nicht eingängig, aber ein Kunstwerk!

  1. 52cutoooops schreibt:

    gimma mottek, kannze draufhaun, dann hattatdat …. 😉

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