Das ist ja was anderes. Das kann man nicht vergleichen

Nehmen wir an, wir fahren nur mal ganz kurz einkaufen. Mal eben. Weil wir gerade festgestellt haben, dass uns für die geplanten Pfannkuchen Eier fehlen.

Es ist halb zwölf. Um zwölf soll es Pfannkuchen geben.

Wir stehen schon mit dem Autoschlüssel in der Hand halbwegs in der Tür, da kotzt der Bernhardiner auf den Teppich. Hat das Vieh wohl wieder Gras gefressen.

Also kommen wir viel zu spät auf den Parkplatz vor dem Einkaufszentrum … und entdecken eine alte Dame, die mit ihrem Vehikel langsam, ganz langsam auf den ganz bequemen Parkplatz vor dem Eingang zusteuert. Kurz auf das Gas zu tippen und mit einem Hui in die Lücke hineinzuziehen – das ist kein Kunststück und gelingt natürlich auch.

Das geht schon klar. Das ist kein Problem. Der junge Kerl, der uns vor drei Tagen mit dem gleichen „Trick“ unseren angepeilten Parkplatz weggeschnappt hat, der ist natürlich ein Arschloch. Logisch. Wir hatten immerhin auch da echte Zeitnot und Schmerzen im Knie. Wir fluchten und humpelten auf den Eingang zu – satte zehn Meter weiter als ursprünglich gedacht.

<<< Schnitt >>>

Europa hadert seit nun Jahrzehnten mit den zahllosen Pressebildern, Filmberichten und entsetzten Augenzeugen furchtbarer Vorkommnisse im Nahen Osten. Brennende Fahnen, enthauptete Menschen, zerstörte Häuser.

Warum können diese Menschen nicht leben wie wir? Haben wir etwa nicht die optimale, freie, selbstbestimmte und rechtsgeschützte Gesellschaft? Besitzen wir etwa nicht die stärksten und klügsten Maschinen? Nein? Warum lernen die Menschen im Nahen Osten nicht, zu leben wie wir? Zu denken wie wir? Zu fühlen wie wir?

Und was heißt das schon, wen interessiert das bloß, dass nun zum vierten, fünften, sechsten Mal Blauhelmsoldaten beschuldigt werden, schier massenhaft zum Teil kleine Mädchen in Afrika zu vergewaltigen? Und nun auch noch tagesaktuell hinzu kommt, dass die Soldaten Mädchen zum Sex mit Hunden gezwungen haben?

Das ist ja was anderes. Das kann man nicht vergleichen. Außerdem sind das ja alles immer nur Einzelfälle.

Was soll uns das sagen, dass US-Soldaten aus schierer Langeweile Kindern in Afghanistan in die Genitalien schießen? Am besten gar nichts. Und müssen wir irgendwie damit umgehen, dass die USA als unser größter „Freund“ mit seinem Angriff auf den Irak das Völkerrecht gebrochen und die ganze Welt belogen hat?

Das ist ja was anderes. Das kann man nicht vergleichen. Außerdem sind das ja alles immer nur Einzelfälle.

Wir meinen es ja nur gut. Für uns gelten andere Gesetze. Wir dürfen wegschauen und immer nur dort hinschauen, wo es für uns moralische Überlegenheit zu ernten gilt.

Haben wir etwa irgendetwas damit zu tun, tragen wir irgendeine Schuld daran, dass einem Bashar al-Assad vor Jahren frisch aus europäischen Produktionen alle notwendigen Equipments für Giftgasraketen zugeliefert wurden? Auf keinen Fall. Und falls doch:

Das ist ja was anderes. Das kann man nicht vergleichen. Außerdem sind das ja alles immer nur Einzelfälle.

Wir haben alle intellektuellen Überflugsrechte, weil da, wo wir sind, automatisch immer oben ist. Wenn wir den Terror gegen uns bejammern, beklagen und beschreien, dann denkt niemand mehr daran, dass eine al-Qaida etwa eine Kreatur des Westens ist. Dann denkt niemand mehr daran, dass die ganze Bestie Terror eine Kreatur des Westens ist – denn hier in Deutschland wurde die Judenverfolgung im „großtechnischen“ Maßstab (nicht erst durch Hitler!) erfunden und es waren Franzosen, die im Algerienkrieg bereits ganze Dörfer tief in Felshöhlen gejagt, diese verschlossen und mit Giftgas gefüllt hatten.

Das ist ja was anderes. Das kann man nicht vergleichen. Außerdem sind das ja alles immer nur Einzelfälle.

Wir dürfen das. Wir sind ja die Guten. Wir sind die mit den Rechtsstaaten und den Menschenrechten, die Frauen Textilien per Gesetz entreißen und Fliehende zurück in genau die Heimatländer jagen, die wir selbst gerade bombardieren. Wir sind die Besseren. Wir sind die mit den großen, luxuriösen Spritsäufern, für deren Fütterung wir ganze Länder ausradieren und über denen wir mit unseren Drohnen kreisen, um Menschen abzuschießen. Aber das sind ja alles immer nur „Terroristen“. Auch die Kinder, die wir erschießen, müssen „Terroristen“ sein. Weil wir ja die Guten, die Besseren sind und niemals einfach nur Kinder töten. Wir zerstören zum wiederholten Mal Kinderfeste und haben den Müttern der Toten erklärt, ihre Kinder seien „Terroristen“ gewesen.

Das ist ja was anderes. Das kann man nicht vergleichen. Außerdem sind das ja alles immer nur Einzelfälle.

Die USA haben in Afghanistan vor vielen Jahren gleich mehrere, verletzte Verdächtige medizinisch unbehandelt gelassen und zur Geständniserpressung gefoltert. Sie haben wiederholt von irgendwelchen Straßen der Welt auf blasse Verdachtsmomente hin Menschen entführt und ab und zu auch zu Tode gequält. Über das von den USA eingerichtete und betriebene Foltergefängnis Abu Ghreib haben sich israelische Geheimdienste mit dem Hinweis köstlich amüsiert, man hätte sie dort als Personal einsetzen sollen, immerhin könnten sie viel besser foltern.

Das ist ja was anderes. Das kann man nicht vergleichen. Außerdem sind das ja alles immer nur Einzelfälle.

In den letzten Tagen tauchte ein Video auf, welches einen israelischen Soldaten klar erkennbar abei zeigt, wie er einem bereits am Boden liegenden Palästinenser in einer sonst beruhigten Situation einfach so in den Kopf schießt. Peng. Weg. Zwei andere Soldaten hatten kurz zuvor den Kopf des Verletzten mit der Stiefelspitze hin- und hergeschubst und murmelten: „Der lebt noch“. Dann nicht mehr. Der Mann wurde einfach abgeknallt.

Das ist ja was anderes. Das kann man nicht vergleichen. Außerdem sind das ja alles immer nur Einzelfälle.

<<< Schnitt >>>

Am Tag vor Weihnachten 2014 schickte mich meine bessere Hälfte, damit ich noch irgendetwas dringend benötigtes einkaufe. Ich fuhr also auf den Parkplatz vor dem Discounter und suchte, wie so einige, verzweifelt einen freien Parkplatz. Da entdeckte ich eine alte Dame, der von einem jungen Mann in letzter Sekunde mit einem beherzten Tritt aufs Gas ein Parkplatz weggeschnappt worden war. Sie brüllte – und drosch mit einem Regenschirm auf den Kerl ein.

Leider war das ein Einzelfall.

Über echsenwut

Ein Islamkonvertit; Ehemann, Familienvater, arbeitet im Marketing, unsterblich verliebt in Ägypten. Die Eule, mit deren Bild er gern kokettiert, steht für den Buchstaben "M" in den altägyptischen Hieroglyphen - und damit für das Initial seines Vornamens. Überaus leidenschaftlich in allem, was er tut; immer viel zu laut, zu präsent, engagiert. Man sagt: intelligent. Ich auch. :-)
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