Das wäre insgesamt erstens aufgrund der gerissenen Strategie und Erfahrenheit seiner Kommandanten extrem unwahrscheinlich und zweitens darf fest darauf vertraut werden, dass der "Islamische Staat" auf keinen Fall lange ohne würdigen Nachfolger bleiben würde.
Es haben zwar allerlei Befehlshaber in unterschiedlichsten Uniformen frenetisch verkündet, nun sei der "IS" bezwungen und kein Thema mehr, allerdings hat sich bisher aus guten Gründen niemand darum gekümmert, dass dies auch so bleibt – oder nur bleiben könnte.
Wir kennen alle die Jubelbilder. Wir haben sie alle gesehen, die vielen Filme, Fotos, Filmchen und Schnappschüsse, auf denen verdreckte und frustrierte IS-Kämpfer aus Trümmerhaufen gezogen wurden – tot oder lebendig. Die ganze Welt schöpfte Hoffnung daraus.
Und es war nur eine Frage der Zeit, wann die Ernüchterung kommen würde.
Dass dies aber so schnell geschehen könnte, wie wir es jetzt beobachten können, hat selbst mich entsetzt.
Vieles von der Orgie von Feuer, Hass, Tod und Zerstörung ging von der syrischen Stadt Idlib aus. Es war der US-Senator John McCain, der dort in dieser Stadt erstmals vor Jahren einge vermeintlich "moderate Rebellengruppen" mit Waffenlieferungen versorgte, die angeblich gegen Bashar al-Assad kämpfen wollten. Es gibt Fotos von diesem Treffen – und die sind in gleich zweierlei Hinsicht höchst interessant:
Die Reise war offiziell schlicht verboten. Der damalige US-Präsident Barack Obama hatte für alle Regierungsmitglieder ein Reiseverbot ausgesprochen – Syrien hätte von McCain überhaupt nicht betreten werden dürfen.
In zweiter Hinsicht zählte ein damals recht unscheinbarer Mann zu den Anführern solcher "Rebellen"-Gruppen, der sich nur wenig später ein lächerliches Äußeres gab, salbungsvolle Worte zu sprechen begann und sich "Kalif" nannte. Mit größter Wahrscheinlichkeit erhielt auch er Waffen.
Jahre später musste Idlib von dem US-Monstrum Daesh ("IS") unter großem Aufwand und mit vielen Toten von der Geißel des Extremisten und Karnevalsfatzken al-Baghdadi (der selbsternannte "Kalif") befreit werden.
Wer aber nun glaubt, damit sei Idlib nun frei und der Spuk vorüber, täuscht sich.
Natürlich.
Die Gesichter und die Fahnen mögen sich verändert haben – der Wahnsinn nicht:
In das Vakuum von Idlib drang die nächste Folter-, Krieg-, Unterdrückungs- und Hinrichtungsgruppe in die Stadt ein und übernimmt ein kaum weniger hartes und restriktives Regiment als es Daesh propagiert hatte – die SSG (Syrian Salvation Government).
Aber das dürfte hier im Westen kaum interessieren. Wir sehen unsere Aufmerksamkeit jenseits der Botschaft, nun sei Daesh Geschichte, völlig erschöpft.
Dabei ist die Drohung längst in der Welt. Am vergangenen Mittwoch bedrohte die SSG schon mal vorsorglich alle anderen Gruppen und Organisationen und forderte sie dazu auf, alle laufenden Operationen einzustellen. Vornehmlich richtet sich der SSG damit gegen die rivalisierende Gruppe Syrian Interim Government (SIG), die als vergleichsweise "moderat" wahrgenommen wird und angetreten ist, in der Übergangszeit bis in einen mehr oder weniger stabilen Frieden hinein das Leben der Menschen organisieren zu wollen.
Die SSG tritt würdig in die Fußstapfen von Daesh ein und man wundert sich, weshalb es eigentlich überhaupt einen Kampf gegen den "Kalifen" gegeben hatte – denn der SSG installiert kaum andere oder weniger harsche Bedrückungen gegen die Menschen und will sie mit ganz ähnlichen Vorschriften in Angst und Gehorsam versetzen.
Als eine ihrer ersten Maßnahmen hat der SSG ein "Gesetz" herausgegeben, nachdem verwitwete Frauen in Idlib keinesfalls allein leben dürfen. Sie hätten sich einen "Muhram" zu nehmen, einen islamischen, männlichen "Beschützer", der nach alter Überlieferung aus der Familie der Witwe stammen muss. Es herrscht vollkommene Unklarheit darüber, was Witwen nun tun sollen, die einen solchen nicht haben, weil sie durch den Krieg allein dastehen. Vorsorglich droht der SSG bei Zuwiderhandlung eine "Bestrafung" an – ohne zu spezifizieren, welcher Art eine solche "Bestrafung" sein soll (ich vermute, man wird zur Todesstrafe oder zumindest zum öffentlichen Auspeitschen greifen).
Die vom Westen gelieferten Riesenmengen an Kleinwaffen, Artillerie und Munition kursieren, wie ja auch von Anfang an beabsichtigt, frei durch die gesamte Region. Sie finden sich auf Wochenmärkten, natürlich in Händen restlicher Daesh-Einheiten und in unbekannter Zahl im Besitz von Privatleuten. Darunter sind Tausende von Maschinengewehren, Millionen Schuss Munition, Raketenwerfer, Raketen, Panzerfäuste, Granatwerfer ….
So sollte es ja auch sein.
Es wäre für den Westen, der den Konflikt geplant, ausgestattet, begonnen und für sich ausgenutzt hat, undenkbar, den Krisenherd kalt werden zu lassen. Im Gegenteil: der gerade jetzt in den letzten Vorbereitungen befindliche, große Krieg gegen Iran wird einen verstärkten Zustrom von Waffen und Soldaten erfordern und lange bevor man den operativen Raum für den Krieg befriedet hat, plant man den Angriff auf den Iran schon jetzt konkret.
Es darf keine Pause in den Feindseligkeiten eintreten. Jede noch so kleine Pause könnte die Menschen dort Luft schöpfen und in Frieden einen neuen Anfang finden lassen – und das gilt es zu vermeiden. Deshalb verzichtet man ebenso konsequent wie absichtlich auf alle nichtkriegerischen Mittel, die versehentlich Frieden herbeiführen könnten. So befasst sich im Grunde niemand mit all diesen großen und kleinen, moderateren oder völlig ausgeflippten Kampfgruppen, die natürlich das Potenzial für weitere zehn- oder hunderttausend Tote haben.
Mit der freundlichen und aufmerksamen Hilfe von Europa und den USA wird die Nacht in Syrien und Umgebung bald wieder von den Feuerscheinen verbrennender Menschen erhellt – ist ja auch bald Weihnachten, da tut ein bisschen Grusel zwischen Lebkuchen und Krippe ganz gut.
Sterben müssen ja die anderen.
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